Mittwoch, 28. März 2012

"Bretonische Verhältnisse" von Jean-Luc Bannalec



Bei Krimis bin ich sehr wählerisch, denn ich mag nur solche, die nach klassischem Muster aufgebaut sind und ohne blutrünstige Detailschilderungen auskommen. Von Thrillern und soziopathischen Serienkillern halte ich deshalb gebührenden Abstand. Nur altmodische „Whodunits" („Wer-hat-es-getan-Krimis“) mit einem Ermittler und vielen möglichen Verdächtigen, die sich auf einem begrenzten Areal (Region, Stadt, Hotel, Landhaus) tummeln bzw. dieses entern, kommen für mich in Frage. Meistens passiert am Anfang und zur Mitte hin ein Mord und die – meist sehr gut auscharakterisierte individualistische – Ermittlerfigur befragt die Verdächtigen und trägt Kenntnisse zur Geschichte der Ermordeten zusammen, um auf das Motiv und letztlich den Täter zu kommen. So mag ich das und deshalb hab ich mich bei lovelybooks.de zum ersten Mal für eine Leserunde beworben, wo ein gewisser „Kommissar Dupin“ seine ermittlerische Premiere in „Bretonische Verhältnisse“ von Jean-Luc Bannalec erleben durfte. Der Vorstellungstext ließ genau so einen altmodischen Krimi erwarten, wie ich sie gerne lese.

Französische Krimis, da fällt einem sofort Georges Simenon ein! In der Tat erinnert Bannelec an den Altmeister was die Herausarbeitung des Französischen angeht. Die Bretagne als Handlungsort hat einen ganz eigenen Charme, den man fast einzigartig nennen möchte. Felsklippen, salzige Meeresluft, mediterranes Atlantikklima und eigenbrötlerische, aber ehrliche Menschen, die sich dem rauen und einfachen Leben, das von viel poetischem Zauber durchsetzt ist und deshalb viele Künstler in ihre Region gelockt hat, angepasst haben.

Mit dem – wie sollte es anders sein – schrulligen Pariser Kommissar Dupin lernen wir die Bretagne und ihre Menschen aus der Sicht einer Person kennen, die nie ganz Bretone sein wird und sich dennoch dem eigentümlichen Charme der Region nicht entziehen kann. Die Sichtweise des staunenden Außenstehenden, „Zugereisten“ also, den seine Sekretärin Nolwenn immer wieder an die Eigenheiten ihrer bretonischen Heimat erinnern muss.

Der Krimi spielt im Hotel- und Kunstmilieu. Der 91jährige Hotelbetreiber Pennec wurde ermordet-warum, das ist hier die Frage. Sehr schnell wird klar, dass die Kunstwelt, die mit dem Tourismus in Pont Aven und Umgebung seit Anfang des 20. Jahrhunderts unmittelbar verknüpft ist, etwas damit zu tun haben muss. Da ich den zukünftigen Lesern die Spannung nicht verderben möchte, verrate ich jetzt nicht zu viel von der Handlung. Nur so viel: es wird früh klar, dass es eine überschaubare Reihe von Verdächtigen gibt – ob Bannalec sich aus diesem Pool bedient oder auf eine externe Erklärung zurückgreifen wird? Ich bin von der Auflösung des Verbrechens jedenfalls überrascht gewesen, allerdings nicht positiv. Die Erklärung für den Mord ist so offensichtlich, dass es eigentlich keinen Spaß macht. Mir fehlt die Raffinesse, der „Aha“-Moment in der Plotgestaltung. Bezeichnend ist dafür am Ende der Satz Dupins: „Wie Sie sagen, am Ende war es kein komplizierter Fall, Monsieur le Préfet. Und das Wichtigste: Der Fall ist gelöst.“ (S. 296) Hm: da frag ich mich doch: soll ein „klassischer“ Krimi nicht genau das liefern: einen „komplizierten“ Fall und einen Ermittler, der diesen trotz seiner Schwierigkeit aufzulösen weiß? Nun ja, ich denke letztlich ist auch das Geschmackssache.

Von seiner Erzählstruktur (4 Ermittlungstage = 4 Kapitel) ist „Bretonische Verhältnisse“ für mich sehr ansprechend. Man steht mit dem Ermittler auf, vergisst mit ihm zu essen um dann letztlich doch ausgehungert ein Bistro aufzusuchen (dabei lernt man ganz nebenbei bretonische Spezialitäten kennen), führt Telefonate, trifft Verdächtige, erkennt die Schönheit der Bretagne um zum Schluss eines jeden Kapitels/Tages todmüde „mit ihm“ ins Bett zu fallen. Dadurch wird versucht ein Gefühl von „Echtzeit“ beim Leser zu erzeugen (man ist bei der ganzen Ermittlung „dabei“ und kann sich selbst ein Bild machen, Kommissar spielen), was ich auf jeden Fall auf der positiven „Haben“-Seite verbuchen möchte. Die schöne Gestaltung mit angenehmer Klappenbroschur und eingefassten Karten des Landstriches ist ebenfalls dort zu finden, wohl eher aber dem Verlag Kiepenheuer & Witsch als dem Schriftsteller Bannalec zu verdanken. Ich mag die Charakterisierung der Figuren, vor allem die der Frauen (Madame Lajoux, Nolwenn, Madame Pennec, Madame Cassel). Bannalec hat irgendwie ein Händchen dafür individuelle Frauenfiguren zu erfassen, wobei mir die Männer Stromlinienförmiger erscheinen.

Der Debütroman Bannalecs und erste Fall Dupins (weitere werden folgen, wie es der Klappentext verspricht) ist im Großen und Ganzen gelungen. Die Kriminalhandlung ist klassisch und dennoch abwechslungsreich, das Setting liefert bezauberndes Lokalkolorit und die Thematik ist außerdem informativ. Nur die Auflösung und das Verbrechen an sich, sind nicht ganz nach meinem Geschmack, ich hätte wie gesagt da einfach „mehr“, etwas anderes erwartet.


Meine Ausgabe:


Originaltitel: -
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsjahr: 2012
Seiten: 304
ISBN: 978-3-462-04406-5

Mittwoch, 14. März 2012

"Die Gebeine von Avalon" von Phil Rickman


Heute möchte ich ein Buch vorstellen, welches ich bereits im Herbst letzten Jahrs bei vorablesen gewonnen und auch rezensiert habe (die nachfolgende Rezension ist dieselbe, die ich dort eingestellt habe). Weil es für mich so spannend und interessant war, möchte ich es nun auch auf meinem Blog veröffentlichen und allen empfehlen, die in Großbritannien spielende Historienromane lieben (so wie ich).

Bei diesem Mix aus dem History und Mystery-Genre (mit einer Prise Thriller) handelt es sich um den ambitionierten und, wie ich finde äußerst gelungenen Versuch, ein Geheimnis aus der tiefen Vergangenheit (in diesem Fall der mystischen Vorzeit Britanniens) durch eine historische Figur aus der ebenfalls tiefen, aber nicht ganz so lange vergangenen Vergangenheit (dem England des 16. Jahrhunderts) zu lösen.
Der Hofwissenschaftler der jungen Königin Elizabeth Tudor (zum Zeitpunkt der Handlung erst 2 Jahre auf dem Thron), Dr. John Dee, wird mit der schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert, die seit der Auflösung der Klöster verschollenen Gebeine ihres „Vorfahren“ König Artus aus Glastonbury nach London zu holen, um ihre Regentschaft gegen ihre Feinde und Gegner abzusichern , aber auch, wegen ihrer Ängste und ihres Aberglaubens. In einer Zeit, in der die neue Religion, der Protestantismus, von Staatswegen wieder durchgesetzt wird und es dennoch unterschwellig im ganzen Volk brodelt, einem Volk, dass sich seine eigenen Götter sucht, dem Aberglauben anhängt und in der Höflinge bereit sind die Religion wie die Kleidung zu wechseln, ist es für den Wissenschaftler Dee ein Canossagang in die einstige Hochburg des britischen Katholizismus und gleichzeitig des vorchristlichen Heidentums zu gehen. Er trifft auf ehemalige Mönche, Kräuterfrauen und Reliquienhändler und muss einen grausamen Ritualmord an einem Diener seiner Königin erleben, um näher zum Geheimnis der „Gebeine von Avalon“ zu gelangen.
Was an diesem Buch so besonders ist und mich absolut anspricht: obwohl es um Altes und Abgelebtes geht, also um Jahrhunderte alte Knochen, um das Zurücklassen des Überholten (sei es um Religion oder den  Aberglauben, der sich in Hexenverbrennungen etc. geäußert hat) und schließlich um das ultimative Nicht-Sein, den Tod (zartbesaitete Leser – zu denen ich mich auch zähle – müssen sich hin und wieder auf äußerst morbide und teilweise grausame Szenarien einstellen) und die Angst davor (das „memento mori“-Motiv wird oft anzitiert), atmet dieser Roman auf jeder Seite Lebendigkeit. Rickman schafft es wie kaum ein anderer das Glastonbury des 16. Jahrhunderts so greifbar werden zu lassen, als wäre man selbst ein Teil dieser Stadt, die – durch die zerstörte Abtei repräsentiert – nur noch ein Anachronismus ihrer Selbst ist. Man spürt förmlich die kalte Luft des Februarmorgens, wenn der Schmied seine Pferde beschlägt, man isst mit Dr. John Dee die verschrumpelten Winteräpfel auf dem Markt und spürt schließlich die unwirklich schleierhafte Atmosphäre, den Spirit an diesem Ort, der etwas ganz Besonders ist.
John Dee ist in der Überlieferung eine eher dunkle Gestalt, die sich der Alchemie und Astrologie verschrieben hat. Diese Vorstellung von ihm geht aber ganz und gar nicht mit der sympathisch-menschlichen Charakterisierung von ihm durch Phil Rickman einher. Dr. Dee ist Anfang dreißig und beschreibt sich selbst ganz faustisch als einer, der zwar viel Wissen angesammelt, aber wenig erlebt hat und mit Menschen nicht so gut umzugehen weiß. Sehr bescheiden lebt er trotz seiner (unbezahlten) Eigenschaft als Haus- und Hofwissenschaftler der Königin mit seiner Mutter zusammen auf dem Land, die spärlichen erotischen Kenntnisse hat er bei der heimischen Magd gesammelt. Im ruinenhaften Glastonbury begegnet er nun bewusstseinserweiternden Zuständen und: der Liebe.
Das Gegenteil von Dee ist der großsprecherische Sir Robert Dudley, Geliebter, Höfling und Oberstallmeister der Königin, der Dee auf seiner Reise nach Glastonbury begleitet und unfreiwillig durch Krankheit in die Rolle des Untätigen gelangt. Auch er ist trotz seiner vielen Fehler und inneren Zerrissenheit (er schwankt zwischen der Liebe zu seiner Frau Amy und der zur Königin) sympathisch charakterisiert. Die beiden geben ein fast schon amüsantes neuzeitliches „Ermittler-Duo“ ab, ihre lebendigen Dialoge sind ein sehr schöner Nebenaspekt des Buches.
Außerdem: Rickman schafft es bei aller schwierigen Thematik sowohl Lesbarkeit zu erzeugen als auch den: „Muss-weiterlesen“-Effekt zu kreieren – und das ohne spektakuläre Cliffhanger (wobei die Kapitel sehr gut in sich strukturiert und angenehm kurz sind). Einfach die Story an sich ist so gut, dass man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht und was Dr. Dee auf die Spuren der Gebeine von Artus bringen wird.
Zum Schluss noch ein Lob für die geniale Covergestaltung mit dem erhabenen haptischen Titel und überhaupt den Softumschlag, der beim Lesen sehr angenehm ist und auch nachher im Regel viel hermacht.
Ich bin froh dieses Buch gelesen zu haben und kann es nur allen empfehlen, die gerne durch das Zwielicht dringen und sich für historische Mysterien interessieren: 5 Sterne!

 Meine Ausgabe:
Originaltitel: "The Bones of Avalon"
Verlag: Rowohlt Polaris

Erscheinungsjahr: 2011

Seiten: 
656
ISBN:  3862520013